Ist Craft Beer eigentlich ein Scam? Schon mehrere probiert und hat nie anders geschmeckt als Mainstream Bier. Oder hab ich kein glückliches Händchen bei meiner Auswahl?
CRAFT BEER MAN IS HERE TO ANSWER ALL YOUR QUESTIONS
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ähem
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Kurz: Nein, kein Scam. Aber...
Lang:
Ich weiß nicht, was deine Erwartung an Craft Beer ist. An sich ist das ja erstmal eine Art Attitüde, die vor allem Geschmacksvielfalt, Experimentierfreude und Zutatenqualität (nein, in diesem Fall keine Buzzwords) betrifft.
Man darf bei Craft Beer die historische Komponente nicht vergessen, die in Deutschland halt nur teilweise gültig ist. Entstand ja größtenteils aus der amerikanischen Heimbrauerszene, die keinen Bock mehr auf langweilige Oligopolplörre hatten. Daraus ist eine unglaubliche Stilvielfalt gewachsen, die es so noch nie und nirgends gab. Das kann man sich gar nicht vorstellen, da ist in 40 Jahren die Zahl der Brauereien von ~70 auf über 6000 gewachsen, was natürlich einen massiven Effekt hatte.
In Deutschland fehlt im Vergleich definitiv der Grassroots-Aspekt und teils auch der Leidensdruck. Als Franke kennst du halt das Problem nicht, dass du nur Bud Light zur Verfügung hast.
Deutschland ist extrem stark darin, einen extrem kleinen Ausschnitt aus dem Bierspektrum zu extrem niedrigen Preisen (quasi-ruinös) auf einem zuverlässig hohen Niveau zu brauen. Wenn du also als Trinker eh am liebsten Pils oder Weizen trinkst, hast du keinen Bedarf an Craft Beer.
Gibt paar Argumente für Craft Beer, die für manche Leute relevant sind (klein und lokal gab es z.B. vor der Welle in Norddeutschland quasi nicht mehr, Zutaten, whatever...). Für mich ist der zentrale Vorteil aber, dass man eine große Menge an Stilen zur Verfügung hat, die in Deutschland vor 5 Jahren wortwörtlich unmöglich zu bekommen war. Alte Stile, neue Stile, blödsinnige Stile, saugute Stile... Dadurch kann ich Bier viel besser an die Situation anpassen. Radler und Wein sind für mich komplett obsolet. Überall, wo ich früher niemals Bier zu getrunken hätte, habe ich jetzt eine Alternative. Und es macht einfach Spaß, auszuprobieren, so wie ich gerne verschiedenes Essen probiere. Das war bei Pils vs Pils vs Pils vs Pils vs Helles sinnlos. Und der völlig behämmerte Reinheitsgebotsfetisch (erfolgreichste Marketinglüge des letzten Jahrhunderts) ist endlich gebrochen.
In deinem konkreten Fall weiß ich nicht, was deine Vergleichssamples waren, was also Craft und was Masse repräsentiert hat. Vielleicht hattest du Pech, vielleicht fällst du aber auch einfach in die Gruppe derer, die eh am Liebsten Pils mögen. Wenn man das Geschmacksprofil mag, kann Craft auch nix fundamental anders machen. Und teils gibt es natürlich auch schwarze Schafe, die unter "Craft" irgendeinen Blödsinn verkaufen. Und zu guter letzt führt experimentelles Arbeiten mit viel Handarbeit bei einem mikrobiologisch so sensiblen Produkt wie Bier auch dazu, dass gute Brauer manchmal ungenießbaren Müll produzieren...